200 Jahre Leipziger Völkerschlacht
„Ein Volk, das in der Lage ist, alles zu sagen, ist bald in der Lage, alles zu tun.“
Dieser Ausspruch entstammt dem Mund Napoleon Bonapartes. Worte also eines Tyrannen aus tyrannischer Zeit und man wähnt sich heute im demokratischen Europa des 21. Jahrhunderts davor natürlich in Sicherheit. Schließlich – so schwätzt es allseits aus der veröffentlichten Meinung – gebe es ja die grundrechtlich garantierte Pressefreiheit und damit sei die Gefahr der Bevormundung und des Gesinnungsterrors natürlich nicht vorhanden. Wie sich diese Freiheit in einem immer zentralistischer nach Brüssel verlagernden Europa entwickelt, bleibt abzuwarten. Parallelen mit der Stadt europäischer Regierung und Napoleon Bonaparte ergeben sich aber schon deshalb, weil erneut nach 200 Jahren wieder der wallonische – d.h. der französischsprachige – Teil Belgiens jedes einzelne europäische Land vereinnahmen will.
Wie es mit dem Korsen Napoleon geendet ist, ist allseits bekannt, wie es mit dem sich abzeichnenden Europa weitergeht bleibt abzuwarten. Düstere Wolken für freiheitliche Patrioten zeichnen sich jedoch schon am Horizont ab. Grund für diese Rezitative und das Erinnern an Napoleons Untergang und des frechen Franzosen Übermaß liegt hier und jetzt aber zunächst einmal in dem Erinnern an die Leipziger Völkerschlacht in diesem Jahr 2013 mit seiner 200sten Wiederkehr.
Doch warum erinnert eine akademische Burschenschaft auf Ihre Öffentlichkeitsseite öffentlich an dieses Ereignis und mahnt zudem hieraus Lehren für die Gegenwart zu ziehen?! Welche Lehren in einem Europa, das augenscheinlich nur noch Freunde kennt und anscheinend keine Usurpatoren mehr aufweist? Ist mit diesem Europa nicht sogar das „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) erreicht, weil es keine Weltpolitischen Widersprüche mehr gibt?!
Mitnichten! Warum sich dieses so verhält ist hier zu lesen:
„Der seelische Zustand Preußens war gegen Ende der bis letztlich 1815 andauernden französischen Besatzung nun einmal verheerend“, resümierte der Historiker Gerd Heinrich 1981 und fügte mit einem drastischen Hieb gegen die bundesdeutsche Tristesse hinzu: Dieser emotionale Tiefststand lasse „deutlich erkennen, wie eine Staatsbevölkerung langsam verrottet, wenn die vaterländische Ansprache ausbleibt“. Denn selbstverständlich hatte Napoleon kein Interesse daran, das Nationalgefühl der Deutschen zu stärken, sondern betrieb vielmehr alles, um Partikularismus und die Kleinstaatigkeit des bekannten deutschen „Flickenteppichs“ nur noch zu verfestigen. Diejenigen, die aber endlich ein gesamtes, deutsches Vaterland wollten, wurden verfolgt und inhaftiert.
Entscheidend für die Ausbildung des noch zwischen Preußen und Deutschland schwankenden Nationalgefühls und der militärischen Einsatzbereitschaft war aber vor allem auch die gemeinsame, tatsächliche Not der „Franzosenzeit“ – für die meisten Preußen ein Synomym für Ausbeutung, Plünderung, „Mangel aller Art“. Ostpreußen hatte die nach Moskau abziehende Grande Armée 1812 „mit absichtlicher Grausamkeit verheert“ (Ernst Moritz Arndt), die Mark Brandenburg und Pommern nicht minder ruiniert.
Und so wurde der Widerstand gegen Ausplünderung und Bevormundung vor allem von der Bevölkerung getragen. Allen voran waren es hier Studenten, die in organisierter Weise, in den akademischen Reformbewegungen der Burschenschaften, aktiv gegen Napoleon angingen. Dies gipfelte dann 1813 in der Teilnahme an der Leipziger Völkerschlacht – bekannteste studentische Einheit ist wohl das Lützower Freikorps in schwarz-rot-goldener Uniform (schwarzer Rock, rote Umschläge, goldene Knöpfe)!
Doch nicht nur Burschenschaften, sondern auch andere Teile der Bevölkerung wehrten sich nach 21 Jahren Fremdherrschaft entschieden!
So neutralisierte bspw. auf Drängen seiner Offiziere der preußische Generalfeldmarschall Ludwig Yorck von Wartenburg am 30. Dezember 1812 in der Konvention von Tauroggen mit dem russischen General Diebitsch sein Korps, ohne die erbetene Zustimmung König Friedrich Wilhelm III. erhalten zu haben. Yorck riskierte damit seinen Kopf; aber er und seine Umgebung, wie auch die russische Seite, hatten die Lage zutreffend beurteilt. Die Nachricht des Waffenstillstands zwischen Preußen und Russland löste, beginnend in Ostpreußen, eine offen ausbrechende Erhebung gegen die französische Herrschaft in Norddeutschland aus. Yorcks Vorschläge einer Landwehrordnung, die sich mit Plänen des Grafen Alexander zu Dohna-Schlobitten deckten, erhielten am 7. Februar die Zustimmung der von Dohna dirigierten ständischen Vollversammlung, die für die Errichtung einer 20.000 Mann starken Landwehr den Weg öffnete. Was er in Tauroggen begonnen hatte, führte Yorck am 5. Februar 1813 mit Konsequenz zu Ende: einen ungeheuerlichen Akt der Rebellion. Und die Elite der Provinz schloß sich dieser allen altpreußischen Vorstellungen widersprechenden Insurrektion an, „der Selbstbewaffnung ohne Befehl des Königs, dem Entschluß zur Kriegführung“ gegen Napoleon, mit dem Preußen „noch immer in einem Allianzverhältnis stand“ (Erich Botzenhart).
Abgesehen von der Heeresreform speiste die Kampfkraft der preußischen Armee sich nicht aus dem Geist innerer Reformen. Die zerlumpten Landwehrsoldaten, so schätzt Gerd Heinrich die Lage realistisch ein, die im strömenden Regen durch die Katzbach wateten, um mit Kolben und Bajonett auf den Feind loszugehen, hätten dabei wohl kaum an Segnungen der Reform gedacht. Stattdessen spreche alles dafür, daß hier Gefühlsregungen die soldatische Masse in Bewegung brachten, wie sie in dieser Intensität bloß eine ausschließlich aus Landeskindern rekrutierte Armee habe entfalten können, nämlich „nackter Haß auf die vormaligen Unterdrücker und so etwas wie nationaler Selbsterhaltungstrieb“. Oder, wie es Friedrich August Ludwig von der Marwitz prosaischer ausgedrückt habe:
„Einfach die Rache und die Begierde, fernen Verlust und Not abzuwenden“. Anders sei die Wucht der Erhebung von 1813 nicht zu begreifen.
Der Ring um Napoleon wurde so immer enger. Am 3. Oktober 1813 überquerte die unter dem Oberbefehl des preußischen Marschalls Blücher stehende Schlesische Armee bei Wartenburg südlich von Wittenberg die Elbe. Am 4. Oktober folgte die unter dem Oberbefehl des schwedischen Kronprinzen stehende Nordarmee. Währenddessen entfaltete sich die Hauptarmee unter dem österreichischen Feldmarschall Fürst Schwarzenberg am Nordrand des Erzgebirges und drängte die ihr gegenüberstehenden französischen Kräfte in nordwestlicher Richtung zurück. Am 12. Oktober trafen Vorposten der Hauptarmee bei Merseburg, 25 Kilometer westlich von Leipzig, auf Einheiten der Schlesischen Armee. Die Voraussetzungen für die Entscheidungsschlacht waren gegeben. Napoleon hatte derweil Stellung bei Leipzig bezogen und hoffte, von dort aus jede der drei anrückenden alliierten Armeen doch noch einzeln schlagen zu können. Am 16. Oktober eröffnete Schwarzenbergs Hauptarmee den Angriff von Süden her, wurde aber von Napoleon zurückgeschlagen, der jedoch nicht nachstoßen konnte, weil er inzwischen von Blüchers Schlesischer Armee von Nordwesten her bei Möckern angegriffen wurde.
Vom 16. bis 19. Oktober 1813 fand diese Rebellion bei Leipzig in der Entscheidungsschlacht des antinapoleonischen Befreiungskampfes in Deutschland ihre Erfüllung. In der bis dahin größten Schlacht der Weltgeschichte trafen 190.000 Mann französischer und mit diesen verbündeter Truppen auf 335.000 Mann der antinapoleonischen Allianz: sie fand unter Teilnahme von mehr als einer halben Million Soldaten – Franzosen, Russen, Deutsche, Schweden- statt, und nach vier Tagen blieben fasst 120.000 Tote zurück. Europa indes war befreit – Napoleon, knapp entkommen, mußte sich mit dem Rest seiner Streitkräfte hinter den Rhein zurückziehen.
Dieses große Ereignis war schon zu seiner Zeit so groß und gewaltig, daß die Feierlichkeiten zu Ihrem Jubiläum bereits wenige Jahre danach begangen wurden. So wurde beispielsweise der Leipziger Völkerschlacht und Ihren Opfern und Helden vier Jahre später bereits mit dem historisch bekannten Wartburgfest feierlich erinnert.
Das entsprach auch der Intention, die Arndt in seinem "Wort über die Feier der Leipziger Schlacht" festgehalten hatte: "Die Sache spricht sich für sich selbst aus. Glücklich, wenn alle Deutsche fühlen, was sie sind und was sie sein könnten und was ihr Volk als Volk wert ist." Die Initiative zu diesem ersten Nationalfest ging auf die Jenaer Burschenschaft zurück, die im Hochsommer 1817 Einladungen an die Studenten der protestantischen Universitäten schickte.
Die Bedeutung dieses Wartburgfestes vom Oktober 1817 lag indes nicht in der Größe der Veranstaltung, nicht in der Resonanz, die sie fand oder der Bedeutung der Reden, die hier gehalten wurden. Die Bedeutung des Wartburgfestes war vor allem eine symbolische; es war der symbolische Anfang der Deutschen Bewegung des 19. Jahrhunderts.
So begann diese Freudenfeier am 18. Oktober 1817, nachdem um sechs Uhr in der Frühe zum Aufstehen geläutet worden war und sich die Teilnehmer auf dem Eisenacher Marktplatz versammelt hatten. Dann begaben sich etwa tausend Menschen, neben 650 bis 800 Studenten viele Bürger der Stadt, den Burgberg hinauf, immer zu zweit gehend, hinter der schwarz-roten Fahne der Burschenschaft. Oben angekommen, trat man im Minnesängersaal zusammen, es wurde ein Gebet gesprochen und dann Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott“ angestimmt. Die Ansprache hielt ein junger Jenaer Theologiestudent, Heinrich Hermann Riemann, der seine Zuhörer an die schweren Prüfungen der Vergangenheit erinnerte und die glückliche Befreiung Deutschlands mit dem Auszug der Kinder Israel aus Ägypten in Beziehung setzte. Es folgte eine weitere kurze Ansprache, dann ein gemeinsames Mittagessen, bei dem zahlreiche Trinksprüche auf die „deutsche Freiheit“, auf Luther und die „Märtyrer der nationalen Sache – Schill, Scharnhorst, Friesen und Körner – ausgebracht wurden, schließlich kehrten die Versammelten in die Stadt zurück. Es fand noch ein Gottesdienst in der Marktkirche statt, dann führten einige Burschenschafter vor den staunenden Augen der Eisenacher Turnspiele unter freiem Himmel vor. Den zweiten Höhepunkt nach der Zusammenkunft im Minnesängersaal bildete aber der abendliche Fackelzug auf den Wartenberg, der der Wartburg gegenüberliegt. Jetzt waren die Studenten fast unter sich, zogen wieder zu zweien und zweien wie eine leuchtende Schlange die Anhöhe hinauf. Auf der Kuppe des Wartenbergs entzündete man mehrere "Siegesfeuer", und der Philosophiestudent Ludwig Rödiger aus Jena hielt eine Ansprache, die sich im Ton und in der Schärfe deutlich von dem unterschied, was am Vormittag zu hören gewesen war: "In der Noth versprach man uns … ein einiges Vaterland der Gerechtigkeit, aber der theuer erkaufte Bundestag ist noch nicht angebrochen, und fast will es scheinen, als sei das Volk glühend erwacht, die Herrlichen gefallen, damit hochmüthige Ideenlosigkeit ein Freudenmahl halte von dem letzten Bissen des Landes…".
Hochmütige Ideenlosigkeit ist auch dieser Tages, 200 Jahre nach der Völkerschlacht, wieder dabei mit politischen Paragraphen, politisch korrektisierend die Nationalstaaten und ihre Dämme gegen Ausplünderung einzuebnen. Als Gegenleistung gibt es einen billigen Euro zur Währung, der Europa in Armut stürzen wird und das Papier und Metall nicht wert ist, auf dem er geprägt ist!
Lernen wir aus Leipzig und lassen uns dies nicht gefallen!